Profuma
Top Rezension 20
Organza...und ein Herr küsst mir beseelt die Hand
Back to the 90ies! Seit Kurzem mein Credo. Ich befinde mich derzeit auf einer Zeitreise. Wie ein Schwamm sauge ich die üppigen Blumendüfte von damals auf. Sie erscheinen in meiner Erinnerung und ziehen mich magnetisch an. Zu ihrer Zeit jedoch stampften sie mich in Grund und Boden. Sie kamen mir vor wie Gouvernanten und ich war das kleine schüchterne und unscheinbare Heidi, das von ihnen getadelt wurde.
Viel Zeit ist seither ins Land gegangen. Das Heidi ist grösser geworden, reifer, selbstbewusster, mutiger. Die damaligen Gouvernanten haben ihren Schrecken verloren. Sie sehen zwar noch immer eindrücklich aus, aber nicht mehr bedrohlich.
Bergamotte und Gardenie begrüssen mich schier überschwänglich. Als wären es Freunde, die man lange nicht gesehen hat und die einem nun freudestrahlend und jubelnd um den Hals fallen. Dabei nieseln sie eine Prise Muskat unter meine Nase. Die Umarmung ist sehr innig und warm. Die Pfingstrose, Tuberose und Iris verstärken sie nach einer Weile, jedoch ohne mich dabei erdrücken zu wollen. Ich fühle mich bei diesen "Freunden" sehr gut aufgehoben und geniesse mit allen Sinnen ihre Liebesbekundung. Mit der Zeit weicht die anfängliche "warme Frische" und überlässt Amber, den Holznoten und der Vanille den Platz, um die Umarmung weiterführen zu können. Eine mondäne, schwere aber sehr angenehme süsse Weichheit umschmeichelt mich. Zeder fängt nach einer Weile das Ganze auf und sorgt dafür, dass sich der Griff der Blumen etwas löst und auch die Süsse etwas nachlässt. Diese ist zwar bei mir zu keiner Zeit unangenehm, aber mehr davon würde dem Duft schaden. Das Gleichgewicht in dieser Zusammensetzung ist somit perfekt ausgewogen, sehr harmonisch und sehr deliziös. Ich wähle bewusst nicht den Begriff "lecker", der mir hierzu einfällt, da der Duft an sich doch eher eleganter Natur ist. Der Flakon und der Name tun ihr Übriges, um klarzustellen, dass dieses Parfum nach einer Trägerin sucht, die es mit Garderobe und Geist zu würdigen weiss. Die Farbe des Duftwassers finde ich sehr passend zum Duft und dem Flakon. Dies kommt wohl daher, dass ich meine erste Organzaberührung in einem Stoffgeschäft, ausgerechnet mit einem Exemplar im Bronzeton hatte.
Ich trug diesen Duft an einem Geburtstagsfest, an Abenden und ich gebe es zu, auch schon mal tagsüber, wenn ich "Rückenstärkung" gebraucht habe. Mich hat er jeweils so aufgefangen und getragen, dass ich mich augenblicklich gestärkter und selbstbewusster gefühlt habe. Oft gehe ich in der Menge unter, werde angerempelt, übersehen. Als wäre ich aus Zellophan. Mit Organza beachten mich die Leute. Ich merke, dass man sich umsieht. Und dabei trage ich doch keine schwere und auffällige Robe. Es ist nur der Duft. Und die Komplimente sprechen auch für sich. Das Geburtstagskind von der besagten Feier, ein älterer Herr, sehr belesen und vom Leben gezeichnet, fasste mich an der Hand, um Danke zu sagen für das Geschenk, das ich ihm mitgebracht hatte. Immer für eine Überraschung gut, deutete er dann ganz oldschool einen Handkuss an, aber hielt plötzlich wie gebannt inne. Augenscheinlich sog er Organza in sich auf und liess es einen Moment in seiner Seele zerfliessen. Er blickte mich danach nur an, sagte kein Wort...und nickte.
Das Land ächzt unter der derzeitigen Hitze. Die Frage nach dem richtigen Duft für heisse Temperaturen drängt sich also auf. Ja, ich habe es getan! Ich habe Organza ausgeführt! Bei 34°C. Im Bus. Im Zug. Im Park. Am See. Pralle Sonne. Keine Brise. Was ich nicht für möglich gehalten hätte aber gehofft habe, trat ein. Organza hält! Bei mir kippt er nicht. Er stört auch die Menschen um mich herum nicht. Ich merke, wie sie ihn wahrnehmen und offenbar gerne mögen. Sie bleiben wo sie sind oder kommen näher. Man spricht mich sogar an. Flucht sieht anders aus.
Die Haltbarkeit des Duftes ist bei mir hervorragend, die Sillage gleicht wieder dem Flakon. Umspielend, berauschend schön und bei der Trägerin. Ein Kracher von Vielen aus den Neunzigern, der sich aber entgegen deren üblichem Charakter stilvoll zurücknimmt, als wollte er der Dame nicht die Show stehlen. Nur gemeinsam können beide wirken, einnehmen, verzaubern.
Auch wenn ich keine Edelgarderobe habe, mit diesem Duft fühle ich mich jederzeit eingehüllt in fliessenden Organza. Im Bronzeton. Wie eine Diva.
Und ein Herr küsst mir beseelt die Hand.
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